Initiative kulturelle Integration

Der Deutsche Designtag unterstützt die Initiative zum gesellschaftlichen Zusammenhalt

von Boris Kochan, Präsident Deutscher Designtag
Sprecher der Sektion Design Deutscher Kulturrat
Vorsitzender des Beirats tgm – Typographische Gesellschaft München

Wir leben in einer individualistischen Epoche. Der Fokus liegt dabei naturgemäß auf der persönlichen Selbstentfaltung; die Gestaltung des Gemeinwesens tritt in den Hintergrund. Seit einigen Jahren zeichnet sich ab, dass die gesellschaftlichen Bindekräfte durch die nachlassende Bezugnahme zur Gemeinschaft – zum »Wir« – stark strapaziert werden. Durch die überraschend schnell notwendige Aufnahme von sehr vielen Menschen aus anderen Kulturen in Deutschland wurde der Belastungsdruck erhöht. Die öffentlich demonstrierte Aversion bestimmter sozialer Gruppen gegen Zuwanderer spitzt die Lage zu.

Eine neue Dimension der Belastung des Sozialverbunds wird voraussichtlich durch die Arbeitslosigkeitswelle entstehen, die durch technologische Revolutionen wie Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Automatisierung ausgelöst wird; mit ihr ist in etwa einem Jahrzehnt zu rechnen. Bis dahin müssten Strukturen und Routinen installiert sein, die es erleichtern, innerhalb der Gemeinschaft für Ausgleich, Zusammenhalt und Entspannung zu sorgen, wenn beispielsweise abrupte Veränderungen Verunsicherung auslösen.

Design als Methode und Denkmodell

Es ist folglich angebracht, die Kompetenz in der Gestaltung von Gemeinschaft und Soziokultur zu erneuern und weiterzuentwickeln. Design mit seinen vielfältigen und zunehmend auch breit akzeptierten Methoden und Denkmodellen wie Design Thinking und Corporate Identity sind hilfreiche Mittel, um Aufgaben dieser Art vorausblickend und schöpferisch anzugehen.

Design fördert innovative und progressive Entwicklungen in der Gesellschaft und in der Wirtschaft. Der Deutsche Designtag (DT) ist Teil der progressiven Szene in Deutschland; er verpflichtet sich dem Fortschritt. Der Fortschrittsbegriff des DT hat einen klaren Bezug zu ideellen und speziell ethischen Werten, zu Identität und zu Kultur. Denn zwischen Design, Identität und Kultur besteht eine elementare Beziehung. Design visualisiert Identität, verleiht ihr im übertragenen Sinn ein Gesicht, das für die Identität ein wesentliches Erkennungsmerkmal ist. Sichtbare Identität wirkt auf Menschen ein, die sie sehen, spricht sie an oder weckt Widerspruch, und bildet so mindestens eine kommunikative Verbindung zwischen den »Inhabern« der Identität und jenen, die ihr gegenüber sind. Vertrautheit genauso wie Spannungen sind die Folge, eine soziale Lebendigkeit entsteht, in der beide Seiten ein breites Spektrum von Erfahrungen miteinander erleben.

Mit professioneller Methodik nutzt Corporate Identity diese sozialpsychologischen Zusammenhänge. Im Rahmen der Corporate Identity-Arbeit widmet sich Design überwiegend Marken und kommerziellen Identitäten (hauptsächlich Unternehmen), darüber hinaus aber auch der Identität von Organisationen, bei denen Profitziele nicht zum Kern ihrer Mission gehören. Auch nationale und ethnische Identität sind im Fokus des DT.

Aus dieser Haltung heraus hat sich der Deutsche Designtag von Beginn an in die vom Deutschen Kulturrat ins Leben gerufene »Initiative kulturelle Integration« eingebracht.

Zusammenhalt in Vielfalt: Initiative kulturelle Integration

Die Integration von Flüchtlingen wird nachvollziehbarerweise vielfach zuerst mit Vorstellungen zu Wohnen, Arbeit, Sprache verbunden. Dabei besteht neben diesen insbesondere logistischen Aufgaben, die eigentliche Herausforderung in der kulturellen Integration, bei der gesellschaftliche Grundlagen wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Religionsfreiheit etc. vermittelt werden.

Kaum jemand bestreitet die Notwendigkeit von kultureller Integration, doch nur wenige wollen sich mit der Frage beschäftigen, wer eigentlich mit was wohin integriert werden soll. Die Initiative kulturelle Integration hat sich dieser Frage angenommen und dazu auf breiter Basis verhandelte Vorstellungen zu 15 Thesen formuliert.

Mit diesen Thesen soll gezeigt werden, welchen Beitrag Kultur zur Integration leisten kann und zugleich eine gesellschaftliche Debatte in Gang gesetzt werden, in der darüber hinaus gehende Antworten gefunden und offene Zukunftsfragen benannt werden.

Dokumentation zur Initiative

Rund um diese Thesen ist eine erste Dokumentation der Initiative kulturelle Integration entstanden. Die Dokumentation enthält neben den 15 Thesen zu kultureller Integration und Zusammenhalt Beiträge von Spitzenvertretern vieler beteiligter Organisationen.

Der Moderator der Initiative kulturelle Integration und Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates Olaf Zimmermann sagt zum Erscheinen der Dokumentation: »Ein in seiner Breite bislang einmaliges Bündnis aus Zivilgesellschaft, Kirchen und Religionsgemeinschaften, Sozialpartnern, Medien, Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden hat sich der Debatte zu kultureller Integration angenommen und 15 Thesen zu gesellschaftlichem Zusammenhalt und kultureller Integration erarbeitet. Wir stellen unsere Thesen zur Diskussion. Wir laden alle ein, sich mit unseren Thesen zu beschäftigen. Wir freuen uns über Kritik und Zustimmung. Wir werden uns verständigen müssen, auch wenn es schwer ist.«

Die Dokumentation mitsamt den 15 Thesen zu kultureller Integration und Zusammenhalt kann hier kostenlos als PDF geladen werden.

Möchten Sie die 15 Thesen unterstützen? Hier können sie mitgezeichnet werden.

Initiative kulturelle Integration

Die Initiative wurde von dem Bundesministerium des Inneren, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und dem Deutschen Kulturrat auf den Weg gebracht. Sie ist überparteilich und zielt darauf ab zu verdeutlichen, dass kulturelle Integration und das Zusammenleben in einem pluralistischen Deutschland gelingt. Ebenso ist beabsichtigt zu unterstreichen, welchen Beitrag die Mitglieder der Initiative kulturelle Integration für den gesellschaftlichen Zusammenhalt bereits leisten und in Zukunft leisten werden.

Mitglieder der Initiative kulturelle Integration sind ARD, Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände, Bundesministerium des Innern, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Deutsche Bischofskonferenz, Deutscher Beamtenbund und Tarifunion, Deutscher Gewerkschaftsbund, Deutscher Journalisten-Verband, Deutscher Kulturrat (mit seinen acht Sektionen Deutsche Literaturkonferenz, Deutscher Designtag, Deutscher Kunstrat, Deutscher Medienrat, Deutscher Musikrat, Rat für Baukultur und Denkmalkultur, Rat für darstellende Kunst und Tanz, Rat für Soziokultur und kulturelle Bildung), Deutscher Landkreistag, Deutscher Naturschutzring, Deutscher Olympischer Sportbund, Deutscher Städte- und Gemeindebund, Deutscher Städtetag, Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Evangelische Kirche in Deutschland, Forum der Migrantinnen und Migranten im Paritätischen, Koordinationsrat der Muslime, Kultusministerkonferenz, Neue Deutsche Organisationen, Verband Deutscher Zeitschriftenverleger, Verband Privater Rundfunk und Telemedien, ZDF, Zentralrat der Juden in Deutschland.

Die 15 Thesen zur kulturellen Integration

Präambel
Integration betrifft alle Menschen in Deutschland. Gesellschaftlicher Zusammenhalt kann weder verordnet werden, noch ist er allein eine Aufgabe der Politik. Vielmehr können alle hier lebenden Menschen hierzu beitragen. Deutschland ist ein vielfältiges Land. Seit Jahrhunderten leben hier Menschen aus vielen unterschiedlichen Ländern. Die Mehrzahl derjenigen, die aus dem Ausland nach Deutschland gekommen sind, fühlt sich hier zu Hause, viele sind inzwischen Deutsche. Mit Solidarität haben Gesellschaft und Politik auf die Ankunft vieler Geflüchteter reagiert. Solidarität gehört zu den Grundprinzipien unseres Zusammenlebens. Sie zeigt sich im Verständnis untereinander und in der Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse anderer – wir treten für eine solidarische Gesellschaft ein.

Kultur trägt neben der sozialen Integration und der Integration in Arbeit wesentlich zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei. Kulturinstitutionen vermitteln Geschichte und Gegenwart Deutschlands und ermöglichen eine Auseinandersetzung mit den Werten der Gesellschaft – wir setzen auf die Vermittlungskraft von Kultur.

Zuwanderung verändert eine Gesellschaft und erfordert Offenheit, Respekt und Toleranz auf allen Seiten. Dies ist ein langwieriger Prozess, in dem um Positionen gerungen werden muss. Das Schüren von Ängsten und Feindseligkeiten ist nicht der richtige Weg – wir stehen für eine weltoffene Gesellschaft.

Der europäische Einigungsprozess ist nicht nur ein Garant für Frieden in Europa und eine wichtige Grundlage für Wohlstand und Beschäftigung, er steht zugleich für kulturelle Annäherung sowie für gemeinsame europäische Werte – wir wollen ein einiges Europa.

Wir legen für die nachfolgenden Thesen den Kulturbegriff zugrunde, der von der UNESCO-Weltgemeinschaft in der »UNESCO-Weltkonferenz zur Kulturpolitik« 1982 in Mexiko formuliert wurde.

(Der UNESCO-Kulturbegriff stellt darauf ab, dass »die Kultur in ihrem weitesten Sinne als die Gesamtheit der einzigartigen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte angesehen werden kann, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen. Dies schließt nicht nur Kunst und Literatur ein, sondern auch Lebensformen, die Grundrechte des Menschen, Wertsysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen.«)

15 Thesen


1
Das Grundgesetz als Grundlage für das Zusammenleben der Menschen in Deutschland muss gelebt werden.


2
Das alltägliche Zusammenleben basiert auf kulturellen Gepflogenheiten.


3
Geschlechtergerechtigkeit ist ein Eckpfeiler unseres Zusammenlebens.


4
Religion gehört auch in den öffentlichen Raum.


5
Die Kunst ist frei.


6
Demokratische Debatten- und Streitkultur stärkt die Meinungsbildung in einer pluralistischen Gesellschaft.


7
Einwanderung und Integration gehören zu unserer Geschichte.


8
Die freiheitliche Demokratie verlangt Toleranz und Respekt.


9
Die parlamentarische Demokratie lebt durch Engagement.


10
Bürgerschaftliches Engagement ist gelebte Demokratie.


11
Bildung schafft den Zugang zur Gesellschaft.


12
Deutsche Sprache ist Schlüssel zur Teilhabe.


13
Die Auseinandersetzung mit der Geschichte ist nie abgeschlossen.


14
Erwerbsarbeit ist wichtig für Teilhabe, Identifikation und sozialen Zusammenhalt.


15
Kulturelle Vielfalt ist eine Stärke.