Social Design
Bewegung im Design. Die klassische Fokussierung auf kommerzielle Medien und Serienprodukte wird aufgebrochen. Unter dem Titel Social Design bildet sich ein neuer Zweig heraus, der Gestaltung als Aufgabe gesellschaftlicher Verantwortung versteht und mit unkonventionellen Mitteln Probleme löst, die für das praktische Leben relevant sind.
von Ralph Habich, Vizepräsident des Deutschen Designtags, Vorsitzender des Forums für Entwerfen
Design für die restlichen 90%
Social Design hatte seine Anfänge in der Wanderausstellung „Design for the Other 90 %“. Die Ausstellung startete 2007 im Cooper-Hewitt-Museum für Design in New York. Sie steht für eine Gestaltung, die sich Menschen im existenziellen Grenzbereich verschreibt; Lust am Konsum, der Glamour des Laufstegs und das strahlende Schaufenster sind da unendlich weit weg. Der geistige Impulsgeber waren die Millennium-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2000. Sie rückten weltweite Armut und ihre Auswirkungen auf das Leben der Menschen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Seither hat sich Social Design zu einer Bewegung aufgebaut, die vor allem im universitären Bereich und im Umfeld der NGO stetig Zulauf findet, bei Designern, Technikern, auch Handwerkern und Menschen aus vielen anderen Professionen.
Andere Prioritäten als Konsum
Der Anteil junger Menschen an Social Design ist sehr hoch. Jungdesigner sehen andere „…andere Sorgen in der Zukunft, als die 37. Sonnenbrille zu designen“, konstatiert Michael Krohn, Leiter Masterstudiengang Design ZHdK Züricher Hochschule der Künste
Ausstellung „Design für die anderen 90 %“.
Die Konsumgesellschaft ist für die meisten Mitwirkenden keine reizvolle Manege. Auch von Wirtschaft und Industrie versprechen sie sich nicht sehr viel für ihre weitere persönliche Entwicklung. Die Zukunft, in der Künstliche Intelligenz und Robotic in nahezu allen Wirtschaftszweigen und -ebenen zu Wettbewerbern von menschlichen Arbeitskräften werden, wirft ihre Schatten voraus.
Der Ansatz ist von ideellen Motiven getragen. Social Design steht für offene Kooperation und weitgehend hierarchiefreies Arbeiten, für Engagement ohne Profit-Kalkül und für das Einbeziehen der Menschen, für die das Arbeitsergebnis bestimmt ist.
Ganz nah am Leben
Klassische Themen des Social Designs sind Fragen, die das Leben unmittelbar betreffen und Lösungen, die im Kleinen und vor Ort konkrete Verbesserung bieten. Gesundheit, Wasser und Ernährung, das Dach über dem Kopf und eine feste Bleibe, Sanitäreinrichtungen und viele weitere praktische Dinge des Alltags stehen im Fokus. Hilfen, um mit einfachen Mitteln den Lebensunterhalt selbst verdienen zu können, sind sehr gefragt. Und nicht zuletzt ist Bildung ein Leitthema. Eine Profession allein könnte die Vielfalt an Aufgaben nicht lösen. Social Design ist interdisziplinär.
Das gilt umso mehr, als inzwischen auch Probleme, die industrialisierte Länder belasten, aufgegriffen werden, wie beispielsweise „Überalterung“ der Gesellschaft und zunehmende Häufigkeit von Demenz. Zudem rücken soziokulturelle und sozialpsychologische Herausforderungen in den Blickpunkt. Die lebensfreundliche Gestaltung des kommunalen Raums beschäftigt die Social Designer unterschiedlichster Provenienz zunehmend.
Gestaltung des gemeinsamen Alltags
Auch Social Design-Konzepte ohne jeden dramatischen Anlass sind inzwischen Gegenstand von öffentlichen Veranstaltungen: „Große Parks, kleine Wiesen, Verkehrsinseln, Brachen: Es gibt viele grüne Inseln in den Städten“, so werben SPIEGEL ONLINE und SPIEGEL WISSEN für den gemeinsam zum vierten Mal veranstalteten Social Design Award: „Hier kann auch gemeinschaftliches Leben gestaltet werden: mit Parkfesten, Konzerten, Sporttreffs, Urban Gardening, Renaturierungsaktionen.“ Zwei Preise zu je 2.500 Euro werden verliehen, über einen entscheidet die professionelle Jury, über den anderen das Publikum. Ob allerdings das bescheidene Preisgeld Ausdruck des Zweifels der Veranstalter an der Bedeutung solcher Projekte ist, ist eine offene Frage.
Die Zukunft: soziokulturell intelligente Lösungen
Die Entschärfung sozialer Brennunkte und die Integration von Flüchtlingen zum Beispiel wird fraglos zu einem Brandthema der kommenden Zeit. Hier könnten sich jedoch Grenzen des Social Designs aufzeigen: Die üblichen Projekte sind sehr von den Aktiven geprägt, und diese genießen es, fern von professionellen Strukturen und Hierarchien kreativ sein zu dürfen. Der Enthusiasmus der Teilnehmer schöpft nicht zuletzt aus diesem selbstbestimmten, persönlichen, fast privaten Ambiente. Wenn prototypische Konzepte für Flüchtlingsheime, die das offene Miteinander der Bewohnern fördern und den Ort zu einem Begegnungszentrum mit Anwohnern aus der Umgebung machen, ist vielfältiges professionelles Wissen einzubeziehen. Dies gilt noch entschiedener für Maßnahmen, die die soziokulturelle Sackgasse überwinden sollen, in die der Städtebau der Moderne uns geführt hat: Menschen brauchen Nähe zu Menschen. Zugänglichkeit, Offenheit, auch für Fremde. Verlässliche Strukturen, die Sicherheit spenden. Städte und Kommunen sind Lebensraum.
Social Design hat Zukunft. Dies setzt jedoch voraus, dass der großen Titel mit einem entsprechend weiten Horizont verbunden wird. Social Design wird nicht allein für kleine Gruppen mit Selbsterfahrungsanspruch stehen.