Design Thinking. Anders denken

Gesellschaft und Wirtschaft befinden sich mitten in einem turbulenten Wandel, siehe Globalisierung, siehe Gentechnologie, siehe Künstliche Intelligenz und Robotic. In der Wirtschaft geht die Sorge um, wer morgen noch eine Rolle im Weltmarkt spielen wird, in dieser Epoche fundamentaler Erneuerung. Was tun die großen Unternehmensberatungskonzerne? Sie investieren erstaunliche Summen in den Erwerb von Design-Unternehmen. McKinsey will die globale Nr. 1 in der Innovationsberatung werden. Dazu braucht es unverbrauchte, effektivere Ansätze für Innovationsentwicklungen. So gelangte Design Thinking in die Schlagzeilen der Wirtschaftspresse.

von Ralph Habich, Vizepräsident des Deutschen Designtags, Vorsitzender des Forums für Entwerfen

Innovation kreiert Innovationen

Design Thinking ist eine Methode, um unkonventionell Lösungskonzepte und Innovationen zu entwickeln. Und zwar schnell, hoch effizient und fokussiert auf die Bedürfnisse der Personen und Gruppen, die künftig von dem Lösungskonzept betroffen sein werden.
Der letztgenannte Aspekt deutet an, dass die Kompetenz im Umgang mit Softfacts ein entscheidendes Merkmal von Design Thinking ist. Design Thinking-Teams sind interdisziplinär aufgestellt und agieren bereichsübergreifend. Ihr Vorgehen geht von „Makrostrukturen vor Mikrostrukturen“ aus und erfolgt iterativ, mit permanenten Verbesserungen im Prozess.

Inspiration durch Design

Design Thinking orientiert sich an Industrial Design. Per definitionem gehört zu einem Design Thinking Team immer ein Designer / eine Designerin. Weshalb? Im Design ist die Entwicklung von Lösungsvisionen eine Grundkompetenz. Designer beherrschen die Methodik der kreativen Assoziation – und sind nicht darauf angewiesen, Innovationen als logische Ableitungen aus dem Bestehenden zu entwickeln. In diesen „schöpferischen Bocksprüngen“ liegt das Potenzial zu revolutionären Lösungen. Designer werden wegen ihrer kreativen Projektbeiträge einbezogen, und zudem als Impulsgeber, die andere Team-Mitgliedern zu schöpferischem Denken inspirieren.

Vielfältige Aufgaben in unterschiedlichsten Anwendungen

Design Thinking wird in den unterschiedlichsten Aufgabengebieten eingesetzt, selbst beim Knowledge Engineering und bei der Entwicklung von Ausbildungsstrategien. Das Entwerfen von Organisationsstrukturen würde man nicht mit „Design“ im deutschen Sinn des Begriffs bezeichnen. Der englische und der deutsche Designbegriff haben ungleiche Bedeutungsschwerpunkte. Im Englischen bedeutet Design:

  1. Ein Lösungskonzept entwerfen, in dem alle entscheidenden Lösungsfaktoren zur Geltung kommen
  2. Die Lösungsidee in eine (buchstäblich) anschauliche Darstellung bringen, die als Überblick zur gezielten Optimierung des Konzepts taugt

Diese Prinzipien prägen auch Design Thinking. Der universellen Bedeutung dieses anglo-amerikanischen Designbegriffs entspricht selbst die Gestaltung von Organisation und anderen immateriellen Objekten und Abläufen.

Praxis im Monitor

Tatsächlich steht die Entwicklung von internen Services und Prozessen an erster Stelle der Anwendungen von Design Thinking, wie die erste große Marktstudie ermittelte („Parts Without a Whole?“, HPI 2015). Die Entwicklung von Produkten und neuen Dienstleistungen folgt an zweiter Position.
Bemerkenswert zum Nutzen von Design Thinking für die Unternehmen ist, dass 71 % der befragten Anwender die „Verbesserung der Arbeitskultur“ und 69 % die „Steigerung der Effizienz von Innovationsprozessen“ meldeten. Design Thinking erzeugt offenkundig nachhaltige Vorteile für die Unternehmen, die Design Thinking anwenden. Design Thinking und Design verändern die Wirtschaftskultur.

Bezug zum Mensch in den Genen angelegt

Dass Softfacts und der Mensch an sich einen so hohen Stellenwert im Design Thinking haben, ist auch auf die Herkunft der Methode zurückzuführen. Die Vorläufer stammen aus dem Kreis der Software Usability Forschung, die den „Mensch als Problem“ entdeckte und (im Software-Sektor) systematisch nach Möglichkeiten suchte, Anwender und ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen.

Kalifornien. Brandenburg. Weltweit

Die Urheimat des Design Thinking, das 1991 offiziell die Weltbühne betrat, war dann die Standford University in Kalifornien. Die zweite große Institution, an der Design Thinking mit bedeutendem Elan und Etat vorangetrieben wird, ist das Hasso-Plattner-Institut (HPI), das 2007 die School of Design Thinking an der Universität Potsdam / Brandenburg gründete. Stanford und HPI kooperieren intensiv miteinander.
Die meisten weltweit führenden Unternehmen haben bereits Erfahrungen mit Design Thinking gesammelt, jene aus der Software- / Elektronik Industrie vorneweg (Microsoft und SAP, IBM und Siemens), aber auch vergleichsweise kleine Einrichtungen anderer Branchen waren frühe erfolgreiche Anwender, wie der Zoo in Hannover zum Beispiel.

Es geht vorwärts, offensichtlich

Der rigide Rationalismus hat ausgedient. Von allen Seiten dringen Akteure in die Wirtschaft und Alltagskultur ein, die Empathie zu einer Primärkompetenz machen; struktureller Dogmatismus wird dadurch überwunden, die Zivilisation erlangt im extremen Wandel wieder Zukunftsfähigkeit. Und Menschen erhalten bessere Aussichten auf einen Platz in dieser Welt.