Empathie. Die Gestaltungskraft des Designs

Empathie, die menschliche Einfühlung, ist eine besondere Qualität von Designerinnen und Designern. Ihre Kompetenz beruht – auf individueller Begabung und persönlichem Engagement. Die methodisch fundierte Ausbildung und das Anwendungstraining stehen in den Anfängen. Hier steht Professionalisierung an.

von Ralph Habich, Vizepräsident des Deutschen Designtags, Vorsitzender des Forums für Entwerfen

Von einem Verkehrsschild erwarten Autofahrer regulative Klarheit. Unbedingte Verlässlichkeit. Und: „Gebot, gültig für Jeden“ – dass Einige sich mehr angesprochen fühlen als Andere, wäre absolut kontraproduktiv. Ein Ballkleid soll einzigartig erscheinen, ganz einer Person zugehörig, durch deren Charisma andere Menschen inspiriert werden: Man fühlt sich unbeschwert, frei und fähig, Unerwartbares zu erreichen.

Ein Verkehrsschild könnte auch so gestaltet werden, dass man es den schönen, stimulierenden Dingen des Lebens zuordnet – seine Ordnung sichernde Suggestivwirkung wäre dann jedoch dahin… und Ballkleider sollten keine dirigistischen Stimmungskiller sein. Naja: Exzentriker durchbrechen auch diese Konvention mit Leidenschaft – aber wenn, dann mit Idee.

Doppelfunktion: Deutungshilfe und Stimmungserzeuger

Zur Kernqualität des Designs zählt, den gestalteten Objekten die richtigen Empfindungen zuzuordnen. Die Wirkung weist in Richtungen:

  1. Die Betrachter sehen und können intuitiv deuten, was das Dingen zu sagen hat.
  2. Die Betrachter sehen – und entwickeln bestimmte Gefühle, mehr oder weniger in dem Rahmen, den die Herausgeber / Gestaltenden anstrebten. Menschen werden durch Design stimuliert.

Der Ausdruck der Dinge sowie der Eindruck, den sie erzeugen und die Stimmungen, die sie hervorrufen… Diese Facetten von Gütern zu gestalten, das ist die Schlüsselfunktion, die das Design und ausschließlich das Design leistet. Wie das Verstehen innovativer Produkte ohne ausdrucksstarkes Design möglich wäre, weiß niemand zu sagen. Die Orientierung in der technischen Welt und der urbanen Öffentlichkeit wird immer stärker durch sinnfällige Gestaltung abgesichert. Auch Individualismus braucht (heute) Design. Selbst das soziale Miteinander gelingt zunehmend auf der Grundlage sensibler, kluger Gestaltung.

Ergonomie und Usability: Spezial-Kompetenzen mit begrenzter Zuständigkeit

Ergonomie und Usability kommen als Spezial-Kompetenzen hinzu, um die Eignung des Objekts für Menschen als Anwender zu optimieren und überzeugende Gebrauchseigenschaften sicherzustellen. Design muss eine adäquate Ergonomie bzw. Usability in die Gesamtgestaltung einbringen, auch durch die Einbeziehung von entsprechenden Experten. Beide Fachgebiete sind jedoch Teilkompetenzen. Mit sehr großer Bedeutung für die Produktqualität.

Design: praktischer Nutzen – und ideelle Werte

Der große Gestaltungsbogen des Designs reicht über das Praktische hinaus. Gebrauchsgegenstände und Medien lösen eine unverzichtbare soziokulturelle Aufgabe, indem sie Einstellungen und Wertevorstellung repräsentieren: Das Nützliche ist zugleich Symbol. Durch das Design, das relevante Werte so visualisiert, dass sie für die Intuition intensiv wahrnehmbar werden. „Alltagskultur“ im modernen Sinn und Lebensstil entstehen heute nicht zuletzt mit Design. Und weil Design einzigartige Möglichkeiten bietet, Wertesysteme zu verkörpern, ist Design eine zentrale Komponente der Markenbildung.

Design ist in dieser Weise sehr viel mehr als nur Ästhetik und Funktion. Und der Entstehungsprozess von hochwertiger Gestaltung bezieht sich nicht einfach auf Farben, Formen und Handhabungsfaktoren. Die bedeutendste schöpferische Leistung findet im Bereich der Intuition, der Empfindung, der Gefühle statt. Große Gestaltungslösungen sind meistens auch Geniestreiche der Empathie: Das nonverbale Agieren auf den Gefühlsebenen gelingt mit verblüffender Souveränität.

Empathie. Zukunftsentscheidend…

Leider muss man festhalten: Empathie ist kein Lehrfach. Auch nicht in der Designausbildung. Designerinnen und Designer mit hohen Fähigkeiten auf diesem Gebiet sind besonders leistungsfähig auf diesem Feld, da die Begabung sie begünstigt und weil die Design-Praxis das Empathie-Engagement permanent herausfordert. Weil der Mensch so ist wie er ist, gibt es immer wieder außergewöhnliche Leistungen der Empathie. Oft münden sie in Designlösungen.

Aber die Gestaltung der modernen Zivilisation muss auf hoch entwickelter Empathie basieren. Nur so kann eine Welt entstehen, die Menschen sensibel annimmt, Orientierung verleiht und Aggressionen auf ein Minimum reduziert.

Im Designsektor wird Empathie in der Praxis in einer Intensität realisiert wie in kaum einem anderen (beruflichen) Bereich der Gesellschaft. Also liegt es nahe, hier mit dem methodischen Lehren und Lernen von Empathie zu beginnen. Design ist praktizierte Nähe zum Menschen. Nicht an Stelle, sondern zusätzlich zur individuellen Spontaneität muss Methode kommen. Empathie-Kompetenz ist zukunftsentscheidend. Forschung und Lehre in Design stehen vor einer bedeutenden Herausforderung.